Annotation |
Rezension: Gefühle? "Damit kommt man nicht weiter" - so die pragmatische Überzeugung der 14-jährigen Lori. Bei den seltenen Begegnungen mit ihrem Vater hat es sich jedenfalls bewährt, sich unterschwänglich und doch fröhlich zu geben. Auch zu den MitschülerInnen hält sie lieber durch demonstratives Desinteresse und Frechheit Distanz, um ihre unangenehmste Schwachstelle, ihr isoliertes Leben mit der psychisch kranken Mutter, zu verbergen. Erstaunlich, wie deutlich Stoffels die Sachverhalte zeichnet, ohne sie zu benennen oder zu erklären. Mittels innerer Monologe und prägnanten sprachlichen Bildern zeichnet sie ein Psychogramm eines vernachlässigten, sexuell missbrauchten Mädchens, das trotz allem eine starke Identifikationsfigur bleibt. Rückblenden, erinnerte Schlüsselszenen der Kindheit geben Aufschluss über Loris Familiensituation, der Ausgangskonstellation, von der aus sie beginnt sich erstmals emotional zu öffnen. Dabei bietet ihr die Erarbeitung eines Musicals zum Stoff des Rattenfängers von Hameln die Möglichkeit, vorsichtig engere Freundschaften zu erproben; und sie findet einen verständnisvollen Zuhörer in ihrem neuen Nachbarn Mark. Bald aber kann sie sich nicht mehr seinen sexuellen Forderungen entziehen, für die sie sich viel zu jung fühlt. Ihre emotionale Abhängigkeit scheint jener zu gleichen, die die Kinder Hamelns dazu bewegt, dem Rattenfänger zu folgen: Du weißt, dass du reingelegt wirst, aber du tappst trotzdem rein. Die sinnvertiefende Parallelführung der problematischen Entwicklung von Loris Beziehungen mit den beinahe trivialen Szenen rund um die Schulaufführung sowie das versöhnliche Ende erleichtern den Zugang zu einem schwierigen Thema und machen den Roman zu mehr als einem bloßen Problembuch. *ag* Gabriele Grunt |